15-11-2005, 13:50 |
Roy L.
Jhonn Balance Nachruf von Gerhard / Allerseelen
Jhonn Balance
16.2.1962
13.11.2004
Nachtmeerfahrt. Für Jhonn Balance
".. behender als Kork tanzte ich hin auf der Flut .." (Arthur Rimbaud, Das trunkene Schiff)
So ging die Fahrt durch das nächtliche Meer, durch Dunkelheit und Trunkenheit. Ein Mann nur, ein Sänger, war an Bord der Barke, Musik und Wein waren das einzige Gut. Die Barke war das Boot des Dionysos, ein Weinschiff: Um den Mast wuchs, höher als die Segel, ein gewaltiger Weinstock mit großen, runden Trauben. Diese Nachtmeerfahrt war keine Fahrt ins Ungewisse - sie führte in etwas Gewisses, in eine Gewißheit. Sie hatte einen Grund. Er dachte an den Wein, der in der heimlichen Welt der letzten Flasche zu seinen Füßen schaukelte wie ein kleines Meer mit eigenen Ebben und Fluten: Der Grund des Weins war es, getrunken zu werden und zu Ende zu gehen. Der Sinn der Flasche war es, wenn sie leer war, ins Wasser geworfen zu werden und eines Tages an einer Küste zu zerschellen. Die Musik, der er sein ganzes Leben gewidmet hatte, wollte gehört sein und mit dem letzten Ton in der pechschwarzen Stille in der Mitte der Schallplatte zugrundegehen. Diese Leere und Stille, dieser Grund war auch die Gewißheit des Künstlers - unsichtbar zu werden wie der getrunkene Wein in der Kehle, unscheinbar zu werden wie ein winziger Glassplitter, der in einer Bucht zu Sand wurde, lautlos zu werden wie ein verhallter Klang im Ohr. Die sternhelle Nacht war die Magie, das herbstliche Meer war die Musik. Beide bestimmten sein Schicksal. Das Sternenlicht schimmerte im nächtlichen Wasser und auf den Flaschen, die auf den Wellen tanzten und sich dabei langsam von der Barke entfernten. Diese Flaschen schienen leer, doch sie waren es nicht - aus ihnen stiegen märchenhafte Klänge. Auf seinem Weinschiff füllte der Künstler Lieder in Flaschen, verschloß sie mit einem Kork und schleuderte sie ins dunkle Wasser, ohne zu wissen, ohne sich darum zu kümmern, wer eines Tages eine dieser gläsernen Botschaften an der Küste auflesen, sie öffnen, diese Klänge hören würde. Manche dieser Flaschen würden an rauhen Ufern zerbersten. Es war gleichgültig: Viele dieser Gefäße, die von der Schwerkraft nichts wußten, würden unversehrt bleiben. Sie konnten, wenn sie das Festland erreichten, auch flußaufwärts steigen, flußaufwärts vom Meer in breite Flüsse, von breiten Flüssen in kleine Bäche, von kleinen Bächen in stille Bergseen, von den stillen Bergseen in heimliche Quellen, um schließlich in heiligen Bergen zu verschwinden und unterirdisch weiterzuwandern. Eine letzte Flasche war ihm geblieben. Ihr Inhalt neigte sich dem Ende zu. Er nahm einen letzten Schluck, sang ein letztes Lied, füllte es in die Flasche und warf sie über Bord. Im gleichen Augenblick war auch die Barke leer. Der Sänger hatte mit dem letzten Lied zugleich auch sich selbst in das nächtliche Meer geschleudert. Das Weinschiff wurde zum Totenschiff, der Weinstock verschwand mit allen seinen Trauben. Ein Wissen aber nahm der Sänger mit sich in die Tiefe: Die Botschaften seiner Nachtmeerfahrt, die seine Lieder enthielten, sein Leben, seine Leidenschaft, seine Liebe, seinen Tod, würden sich noch für viele Jahrzehnte in allen Erdteilen flußaufwärts singen.
"Waren die Trauben nicht anders als sonst, waren die Beeren nicht größer, runder, bis zum Bersten gefüllt mit dem Rausch des Todes? Mit einem Male hatte ich die Vorstellung, so wie diese Trauben reife der Tod. Er schien mir etwas zu sein, das langsam, aber unaufhaltsam reifte wie Trauben." (Alexander Lernet-Holenia, Der Mann im Hut)
Gerhard
14.XII.MMIV
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Verweise