Bei dem Kürzel M.M.M. handelt es sich wohlgemerkt nicht immer um die von Boyd Rice geprägte so mythosbehaftete Trinität "Music, Martinis & Misanthropy" - obwohl, das würde hier auch nicht übel dazu passen - sondern im vorliegenden Fall um die Reinkarnation des italienischen Snuff-Electronica - Projektes MACELLERIA MOBILE DI MEZZANOTTE. Unter diesem Namen hatte Adriano Vincenti bisher im Alleingang einige fiese Fetish'n'Noise-Scheiben mit dezenter Jazznote und einer schrägen Serienmördermanie veröffentlicht. Nun ist M.M.M. mit Simone Puorto (PROFILE), Flavio Rivabella (D.B.P.I.T.) und Vinz Inferno (CALLE DELLA MORTE) zu einer richtigen Band mutiert, und "La Dolce Vita" hat deutlich mehr "dolce vino rosso" und langbeinige Verlockungen im "bösen Blut" als die vorangegangenen Alben. Wir befinden uns im Rom der späten Fünfziger Jahre. Der nächtliche Asphalt ist überzogen von einer glänzenden Schwüle, in die das dumpfe Licht aus den Etablissements der besseren Gesellschaft sanft und langsam tropft und sich mit einer Spur warmen Blutes vermischt. Alles ist erfüllt von den Begegnungen stechender Blicke. Jeden Moment kann eine reizende femme fatale in hochhackigen Schuhen unsere Szene auf der Via Veneto betreten und mit eisgekühlter Präzision den Rauch ihrer Zigarette in die Nachtluft hauchen. Jeden Moment kann ein alkoholisierter, spielsüchtiger Casanova mit der Mafia im Rücken die Situation zum Kochen bringen. Natürlich ist an dieser Atmosphäre fast alles geklaut, aber was soll's schon, M.M.M. sampeln mit viel Stil. Zuckersüß säuselnde Chansonstimmchen, cocktaildurchtränkte Sick-Lounge - Bassrhythmen, erotisierende Trompetenstrudel, durchbrochen von nostalgischem Knistern, perversem Rock'n'Roll und noisig verzerrten Abschlachtungen. Es ist alles ein bisschen Fellini mit Pornoschnipseln, ein bisschen Sinatra als Triebtäter, ein bisschen sexy Bonnie & Clyde-Kino und ohhh, Monica Vitti, Mademoiselle Birkin, Anna Karina... M.M.M. inszenieren tödlich kriminalistische Liebesgeschichten im film noir-Format der alten Hollywoodklassiker, gleichfalls aber von großer italienischer Eleganz und abendländischer Todessehnsucht geprägt. Es sind die Geschichten kaltblütiger Leidenschaften, alternder, verzweifelter Gigolos und ihrer unzähligen Frauen, Alkoholgeschichten und Poker, Bettgeschichten, die blutig enden, gewürzt mit einem trashigen Peitschenschlag des gewohnten Butcher's House Prod. Bizzarrismo. Eigentlich ist das Ganze von der Musik bis zur Gestaltung richtig billig und klischeehaft produziert, und man fragt sich, wofür das Budget dieses Projektes, das angeblich teilweise durch "illegale Handlungen" finanziert wurde, draufgegangen ist (wahrscheinlich für sex, drugs & Nadelstreifen!?). Aber im Grunde ist hier alles genauso, wie es sein muss. Die Veröffentlichung versprüht ähnlich den älteren Veröffentlichungen von SPIRITUAL FRONT (vor allem "Nihilist Cocktails For Calypso Inferno") und BAIN "in some brutal way he was an artist" WOLFKIND diese ganz vereinnahmende Authentizität, die durch mehr "Professionalität" nur ins Dilettantische gezogen werden würde. Adriano Vincenti und seine Kollaborateure beweisen guten Geschmack und perfektionieren ihren originellen Geistesblitz, diesen ganzen prickelnd dekadenten "dolce vita" Sex-Jazz-Stil mit harschen Krachorgien zu verquicken. Ein wenig angewidert von der massenkompatiblen Seichtheit der "Jesus Died In Las Vegas"-Ballade und weiterer Hellvis'scher Fehltritte lädt die Sofamusik von "La Dolce Vita" zum stilvollen Zurücklehnen in dunstigen Nachtlokalen und teuren Hotelzimmern ein. Auch wenn mich alle frischgebackenen SPIRITUAL FRONT-Fans sicher dafür hassen werden: M.M.M.'s Las Vegas ist einfach bissiger, verdorbener, nostalgischer und wortwörtlichst geiler. Hier trinkt man seinen Martini in ganz anderer Gesellschaft und mit ganz anderer Attitüde: das Leben ist süß und love is a mad dog from hell, baby!
Roy L. für nonpop.de
Verweise zum Artikel: » M.M.M. » Butcher's House Prod.
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