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SLOWCREAM: River Of Flesh

jenseits, abseits, diesseits


SLOWCREAM: River Of Flesh
Genre: Neue Musik
Verlag: Nonine...
Vertrieb: Nonine...


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Mit dem Vorgänger “And” zersetzte SLOWCREAM genau den Beiklang von kontemplativer Gemütlichkeit, den so genannten “Neo-Klassik” nur allzu gern verbreitet. Das war im September 2009 – kein Tag zu früh, just in dem Moment, in dem eine Armada von flachbrüstigen Strebern und ewigen Mädchen im Begriff standen, ein gesamte Kultur zur putzigen Märchensammlung zu degradieren. Ein Jahr später, im Winter 2010/11 ist das Problem virulenter denn je – ich verweise auf die NONPOP-Lesercharts für den November 2010. Nur dank der konzertierten Aktion einzelner User und HAUS ARAFNA kann es noch vermieden werden, dass ein natürlich blonder, irre gewitzt wirkender und unheimlich lieb dreinschauender Hungerhaken namens ZAZIE VON EINEM ANDEREN STERN mit “Regen: tropfen” als Monatssieger durchs Ziel geht. Allein Bandnamen und Titel inklusive Interpunktion beschwören in mir perverse, sadistische Vernichtungsphantasien. Soeben – 30.November, 12.30 Uhr – habe ich mich verpflichtet gefühlt, für HAUS ARAFNA abzustimmen. Klar, ich hätte mir wenigstens ihr neues Album anhören können. Aber ich weiß ohnehin grob, was mich erwartet – analog sägender Post-Industrial, mehr oder weniger raffiniert, in Spitzen sogar erstaunlich relevant – und dafür fehlt mir momentan einfach die Muße. Denn der 30.November ist nicht nur der Tag, an dem Zazie zumindest hier symbolisch von HAUS ARAFNA beerdigt wird, und mit ihr die muschelige “Märchen-Neo-Klassik” (man wird ja wohl noch mal träumen dürfen!); heute erscheint vor allem mit “River Of Flesh” das neue, mittlerweile vierte SLOWCREAM-Album. Und das nimmt eine ganz neue Spur auf, ...

Neo-Klassik präsentiert sich hier getreu des Titels nur noch als Geburtsfehler, als der hässliche Bruder des ohnehin entstellten Dark Ambients, als giftige Ambrosia für somnambule Höhlenkinder, ohne Kitsch aber mit lustigen Titeln wie “Spiritual Training In Cataclysm”, “Atrocity”, “Unspeakable Acts V2”, “Hunting Song” und, mein persönlicher Favorit, “Deities And Demons”. Letzteres ist dann auch der Song, der die deutlichste Brücke zum Vorgänger “And” baut. Stimmungs- und wesensverwandt mit dem stark narrativen “Temperature”, setzt “Deities And Demons” nur weniger auf Streicher als auf Bläser, um die unterschwellige Bedrohung voranzutreiben. Auf eine Art triggern die gezogenen Klänge Industrial, insbesondere THROBBING GRISTLE und Coseys Kornett, aber einen Augenblick später dingelt auch schon die Musique concrète, zischelt analoge Electronica, verwabert sich der Score mit Fieldrecordings zu einem ungemütlichen Fluss. Apropos: Damals haben sich einige Schreiber gewundert, ob es THROBBING GRISTLE mit dem pathetischen Untertitel von “Heathen Earth” wirklich ernst gemeint haben können. Ob ausgerechnet sie diese Frage ohne Ironie oder Zynismus, ganz naiv stellen wollten – “Can the world be as sad as it seems?”

Natürlich kann sie das, gestern wie heute und morgen. Und ist die Welt seit “Heathen Earth” (1980) nicht noch viel trauriger geworden? Erst letzte Woche ist Sleazy gestorben, Tante Gen kondoliert nicht und der Rest schweigt pikiert ... Ich frage mich, ob es mir mit “River Of Flesh” und den zitierten Titeln sehr bald ähnlich gehen wird wie meinen Kollegen mit dem Untertitel von “Heathen Earth”. Natürlich lebt dieses Album von der wuselnden Ungemütlichkeit, von einem Sounddesign des Jenseitigen, determiniert von den Katastrophen und Grausamkeiten in den Titeln. Aber vielleicht gibt es auch bei SLOWCREAM gar kein ironisches Spiel mit den scheinbar billigen Stereotypen. Vielleicht sind die Horror-Referenzen weder fiktiv noch prophetisch, und bestenfalls dient der Dämon als Metapher für irgendeine unaussprechliche Macht – Zombie-Banken haben es schon in den Wirtschaftsteilen der bürgerlichen Presse geschafft, da sind der Cash-and-Carry-Cthulhu oder Akkumulations-Azathoth auch nicht mehr weit. Die Zeit wird es zeigen. Bis dahin dürfen geneigte Zuhörer die Reise auf dem “River Of Flesh” nach eigenem Gusto genießen – als schaurig-schöne Fahrt mit der Geisterbahn oder als subtilen Höllenritt. Aber Vorsicht: The future's so bright, you've got to wear a Nachtsichtgerät!


 
für nonpop.de


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